Daher musste er in allem seinen Brüdern gleich werden, damit er
barmherzig würde und ein treuer Hoherpriester vor Gott, zu sühnen
die Sünden des Volkes. Denn worin er selber gelitten hat und ver-
sucht worden ist, kann er helfen denen, die versucht werden.

Hebräer 2, Verse 17 und 18

Bei der Verabschiedung des Inspektor eines bibeltreuen Gemeinschaftswerkes, bemerkte der scheidende Inspektor, dass ihm während seiner Amtszeit etliche
„rechtgläubige Scharfrichter und Kreuzritter“, sowie „gnadenlos fromme
Christen“ begegnet seien. Er hoffe aber, dass in dem Gemeinschaftswerk auch künftig der Gnade und Barmherzigkeit Raum gegeben werde.

Das „gnadenlos fromm“ stieß nicht überall auf Zustimmung. Christen, denen
eine klare und eindeutige Verkündigung des Evangeliums am Herzen liegt,
sahen hier ein Anzeichen für eine „Anpassung an die Welt, verbunden mit
einer Relativierung der biblischen Botschaft, die auch vor bislang bibeltreuen
Einrichtungen nicht Halt macht“.

Aber wie ist das denn nun mit den „rechtgläubigen Scharfrichtern“, „Kreuz-
rittern“ und „gnadenlos frommen Christen“? Gibt es die wirklich oder sollen
mit solchen Bezeichnungen lediglich bibeltreue und ernsthafte Christen
verunglimpft werden?

Ich denke nicht.

Denn es gab und gibt tatsächlich gläubige und ernsthafte Christen, die zu einem gesetzlichen Denken neigen. Aber das gibt es nicht nur im
Christentum, sondern auch in anderen Bereichen und ist wohl eher eine
Frage der charakterlichen Prägung.

Gesetzlich, im negativen Sinn “fundamentalistisch” denkende Menschen neigen dazu, Andersdenkende hart zu kritisieren, wenn sie nicht die Ansichten teilen, die der “Fundamentalist” als einzig wahr und richtig erkannt hat.

Im christlichen Bereich kann das der moralisch erhobene Zeigefinger sein, mittels dem man sich über andere stellt und wo Glaubensgeschwistern auch mal schnell die Rechtgläubigkeit abgesprochen wird.

Eine ungute “fundamentalistische” Gesetzlichkeit wirkt abschreckend und bewirkt das genaue Gegenteil von dem, was sie eigentlich beabsichtigt ist. Und deshalb hört dann immer wieder von Gläubigen, die sich von christlichen Gemeinschaften wegen der dort vorherrschenden Rechthaberei lösen.

Denn es ist nicht so, dass die Wahrheit der biblischen Aussagen durch einen
von den Glaübigen aufzurichtenden Schutzzaun gesichert werden müsste.
Denn hinter dem Wort Gottes steht Gott selbst, der von uns weder geschützt oder gar verteidigt werden muss.

Das Wort Gottes ist, ein lebendiges Wesen, wie ein Löwe, der sich selbst
verteidigt und immer wieder, auch ohne unser Zutun durchbricht und es ist der Geist Gottes, der jedem das individuelle Maß an Glauben zuteilt. Und da wird dem einen dieses und dem anderen jenes klar.

Hinsichtlich des Glaubens gibt es somit eine große Bandbreite rechter und
bibeltreuer Erkenntnis

Im Wort Gottes lesen wir, dass unser Wissen und Erkennen Stückwerk ist, dass wir einander annehmen, vergeben und barmherzig sein sollen, uns Christus zur Freiheit befreit hat und wir aus Gnade gerettet werden. Was allerdings auch wieder nicht ins andere Extrem, dem der Beliebigkeit,
umschlagen darf.

Für uns gilt unseren Glauben und das, was wir dadurch erkannt und erfahren haben, freimütig zu bekennen, uns untereinander auszutauschen, aufeinander
zu hören, sich korrigieren zu lassen und zum Befassen mit dem Wort Gottes zu einzuladen.

Alles andere muss der Geist Gottes richten.

Jörgen Bauer