Die Hauptsumme aller Unterweisung aber ist Liebe aus reinem
Herzen und aus gutem Gewissen und aus ungefärbtem Glauben.
Davon sind einige abgeirrt und haben sich hingewandt zu unnüt-
zem Geschwätz, wollen die Schrift meistern und verstehen sel-
ber nicht, was sie sagen oder was sie so fest behaupten.
Timotheus 1, Verse 5 – 7

Diese Verse machen nachdenklich. Mich jedenfalls. So wie für viele,
die sich zu Jesus Christus und seinem Wort bekennen, stehen auch
für mich Christi Tod und seine Auferstehung im Zentrum des Glau-
bens. Ist dies doch das Heilsgeschehen, das uns rettet, wenn wir
das im Glauben annehmen und für uns gelten lassen.

Aber gibt es auch so etwas wie einen „Glaubensegoismus“?

Ich denke hier an manche Glaubensgeschwister, wobei ich mich selbst
nicht ausnehme, die viel Zeit und Überlegungen darauf verwenden, das
Heilswerk Jesu Christi immer noch besser zu verstehen um mehr und
mehr in der Erkenntnis und im Glaubenswachstum zuzunehmen.

Das ist keinesfalls verkehrt. Aber könnte es sein, dass man sich dabei,
ganz unmerklich, mehr und mehr auf sich selbst bezieht und das sogar
in aller Demut? Dabei muss es nicht zu unnützem Geschwätz kommen,
wie es in den obigen Versen angeführt wird.

Und wie sieht es mit dem „Meistern der Schrift“ aus? Verstehen wir im-
mer, was wir aufgrund unserer Glaubenserkenntnis sagen und fest be-
haupten? Im Großen und Ganzen vielleicht schon, aber auch im Detail
und in allen Vernetzungen der Schrift?

Was wir glauben haben wir zu einem großen Teil von bibeltreuen Theo-
logen übernommen, die Zusammenhänge erkannt haben, mit denen wir
uns dann ebenfalls identifizieren konnten. Und hier hat sich eine be-
stimmte Auslegungstradition herausgebildet. Aber auch Theologen sind
Menschen, die sich irren können.

Beim Lesen der Bibel sind die Zusammenhänge nicht immer unmittelbar
erkennbar, was mit ein Grund dafür ist, dass es, selbst im bibeltreuen La-
ger, unterschiedliche Strömungen gibt, von den unterschiedlichen Kon-
fessionen, Denominationen und Sondergemeinschaften erst gar nicht zu
reden.

Das erfordert von uns eine gewisse Offenheit anderen gegenüber!

Denn auch hier gilt, dass unser Wissen und Erkennen Stückwerk ist.
Deshalb kann es in Detailfragen die Einstellung, „nur wir wissen, wie
es richtig ist“, nicht geben.

Dem steht nicht entgegen, dass es unaufgebbare Glaubensinhalte gibt,
an denen wir festhalten, ohne sie aber im klassischen Sinn „beweisen“
zu können. Deshalb unterlassen wir auch entsprechende Versuche.

Noch etwas sehr Wesentliches wird in den heutigen Versen gesagt:
Nämlich dass die Liebe die Hauptsumme aller Unterweisung ist. Das
bedeutet, dass Glauben mehr eine Herzenssache und weniger eine
Kopfsache ist. Das Eigentliche ist also nicht das „Abfüllen“ mit theo-
logischem Wissen.

Menschliche Dinge muss man kennen um sie zu lieben, göttliche Dinge
muss man lieben um sie zu verstehen. Ein kluger Satz, der von dem
Universalgelehrten und Christ Blaise Pascal stammt.

Dazu sagt Jesus:

„Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen,
von ganzer Seele und von ganzem Gemüt. Dies ist das höchste
und größte Gebot. Das andere aber ist dem gleich: Du sollst dei-
nen Nächsten lieben wie dich selbst.“
Matthäus 22, 37-39

Um zur eingangs gestellten Frage zurückzukommen:

Könnte es sein, dass wir sagen: Hauptsache wir sind gerettet, was ge-
hen uns die anderen an, wenn wir uns nur in unseren frommen Kreis
zurückziehen können, wo wir alle der gleichen Meinungen sind? Un-
sere eigentlich „Nächsten“ sollen sehen, wie sie klar kommen!

Hüten wir uns deshalb auch vor Selbstsicherheit, mit der wir aus unserer
Glaubensgewissheit heraus, andere, die das anders sehen oder erleben,
als nicht „rechtgläubig“ und damit „als nicht gerettet“ ansehen. Das ist
eines der größten frommen Untugenden! Damit greifen wir in Gottes Rich-
teramt ein. Und mit eben diesem Maß werden auch wir dereinst gemessen
werden!

Auch wenn die heutigen Verse nicht an die Welt, sondern an die Ge-
meinde Jesu Christi gerichtet sind, sollte darüber nicht vergessen wer-
den, dass wir, hinsichtlich des Evangeliums, der Welt gegenüber
Schuldner sind, der wir die Botschaft des Evangeliums schulden.

Jörgen Bauer