Daher musste er in allen Dingen seinen Brüdern gleich werden, auf dass er barmherzig würde und ein treuer Hoherpriester vor Gott, zu versöhnen die Sünden des Volks. Denn worin er gelitten hat und versucht ist, kann er helfen denen, die versucht werden.

Hebräer 2, Verse 17-18 (Luther 1912)

Bei seiner Verabschiedung, sagte der Inspektor eines christlichen Gemeinschaftswerkes, dass ihm während seiner Amtszeit etliche „rechtgläubige Scharfrichter und Kreuzritter“, sowie „gnadenlos fromme Christen“ begegnet seien. Er hoffe aber, dass in seiner Einrichtung auch künftig der Gnade und Barmherzigkeit Raum gegeben werde.

Das „gnadenlos fromm“ stieß nicht überall auf Zustimmung. Christen, denen eine klare und eindeutige Verkündigung des Evangeliums am Herzen liegt, sahen in dieser Aussage eine „Anpassung an die Welt, verbunden mit einer Relativierung der biblischen Botschaft, die auch vor bislang bibeltreuen Einrichtungen nicht Halt macht“.

Die vermeintliche “Anpassung an die Welt” wurde dann wie folgt kommentiert: „Die linguistischen Guerilleros haben wieder zugeschlagen“.

Aber wie ist das denn nun mit den „rechtgläubigen Scharfrichtern“, „Kreuzrittern“ und „gnadenlos frommen Christen“? Gibt es die wirklich oder sollen mit solchen Bezeichnungen lediglich bibeltreue und ernsthafte Christen verunglimpft werden?

Ich denke nicht.

Denn es gibt tatsächlich Christen, die ihren Glaubensgeschwistern gegenüber unnachsichtig und hart urteilen, wenn diese in irgendeiner Form von dem abweichen, was von den „gnadenlos Frommen“ als einzig wahr und richtig erkannt wurde.

Ich denke hier an Fälle, in denen ein wortwörtlichstes Bibelverständnis
verlangt wird. Ein Beispiel dafür ist der 6-Tage Schöpfungsbericht der
Bibel, mit dem ich persönlich keinerlei Probleme habe, den ich auch nicht
anzweifle, wo ich aber davon ausgehe, dass wir hier vieles nicht begreifen,
und verstehen.

Und da kann einem nachdenklichen Mitchristen auch mal ganz schnell die Rechtgläubigkeit abgesprochen und auf Distanz gegangen werden.

In krassen Fällen erhebt man sich besserwisserisch und überheblich über andere, die auf das Schärfste verurteilt werden, wenn sie nicht zu 100% die eigenen Auffassungen teilen.

Ich las mal von einem tiefen Zerwürfnis zwischen zwei bibelgläubigen Gruppen,
das sich an unterschiedlichen Sichtweisen hinsichtlich der Entrückung
entzündete, wobei eine Gruppe erklärte dass künftig keine Gemeinschaft mit der anderen Gruppe mehr möglich sei.

Es gibt tatsächlich einen unguten Fundamentalismus. Den mit dem ständig erhobenen Zeigefinger. Wo man vor lauter Ernsthaftigkeit das Lachen verlernt hat und wo man selbstquälerisch mit den eigenen Mängeln umgeht.

Solche Christen wirken abschreckend und bewirken das genaue Gegenteil von dem, was sie eigentlich sollten.

Der „gnadenlose fromme Christ, Kreuzritter und rechtgläubige Scharfrichter“ ist Ausdruck einer einseitigen Fehlentwicklung, bei der, an sich gute Ansätze, in einer unguten Weise übersteigert wurden, wobei dies dann nicht mehr dem entspricht, was im Wort Gottes gesagt ist.

Denn hier lesen wir, dass unser Wissen und Erkennen Stückwerk ist, dass wir einander annehmen, vergeben und barmherzig sein sollen, uns Christus zur Freiheit befreit hat und wir aus Gnade gerettet werden. Was allerdings auch wieder nicht ins andere Extrem, dem der Beliebigkeit, umschlagen darf.

So bleibt das Glaubensleben auch hier eine Gratwanderung, bei der wir um die rechte Leitung bitten müssen.

Eine der „gnadenlos frommen“ Fehleinschätzungen ist die, dass man glaubt, dass die Wahrheit der biblischen Aussagen durch Beweismittel von uns gesichert werden müsse. Es wird dann verbissen versucht die biblischen Aussagen zweifelsfrei zu beweisen.

Im Grunde ist dies dasselbe, wie die Nichtexistenz Gottes beweisen zu wollen,
nur mit anderem Vorzeichen.

Dabei wird verkannt, dass hinter dem Wort Gottes, Gott selbst steht, der von uns nicht geschützt oder gar verteidigt werden muss und dass das Wort Gottes, ein lebendiges Wesen, wie ein Löwe ist, das sich selbst verteidigt. Es ist der Geist Gottes, der jedem das individuelle Maß an Glauben zuteilt. Und da wird dem einen dieses und dem anderen jenes klar.

Unsere Aufgabe ist es, unseren Glauben und das, was wir dadurch jeweils erkannt und erfahren haben, freimütig zu bekennen, uns untereinander auszutauschen und zum Befassen mit dem Wort Gottes einzuladen. Das Wachsen und Gedeihen kann nur Gott schenken.

Jörgen Bauer