Weh euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, ihr Heuchler, die ihr den Zehnten gebt von Minze, Dill und Kümmel und lasst das Wichtigste im Gesetz beiseite, nämlich das Recht, die Barmherzigkeit und den Glauben! Doch dies sollte man tun und jenes nicht lassen.

Matthäus 23, Vers 23

Pharisäertum und Heuchelei sind nicht neu, sondern haben eine lange
Tradition. Und das auch im Bereich der Frömmigkeit, der Kirche und des Glaubens, weshalb es nicht damit getan ist, Heuchelei zu erkennen, sondern sich auch selbst vorzusehen um nicht zum Heuchler zu werden.

Jesus bringt hier den Vergleich vom Splitter im Auge des Bruders und vom
Balken im eigenen Auge, und Er warnt vor dem Richten und Verurteilen, mit dem wir uns selbst das Urteil sprechen können.

Heuchelei, wie sie das Wort Gottes versteht, besteht darin, Unzulänglichkeiten
und Mängel bei anderen aufzudecken und anzuprangern, und dabei die eigenen Mängel zu übersehen. Heuchelei kann auch in sich demütig gebender
Anpassung bestehen, in dem man den maßgeblichen Leuten nach dem Mund
redet oder sich der erwarteten Meinung anpasst, was eine weiterbreitete Untugend ist.

So notwendig und wichtig es ist, Fehlentwicklungen aufzuzeigen und gegen diese anzugehen, so wichtig ist es auch dabei nicht das Augenmaß zu
verlieren, und da sind wir, insbesondere dann, wenn wir ernst mit dem Glauben machen, gefährdet, weil wir dann zum “frommen Eifer” neigen, was
auch eine Form der Heuchelei sein kann.

Und da befinden wir uns stets auf einer Gratwanderung. Vielleicht sollte man bedenken, dass Gott auch auf krummen Linien gerade schreibt, viel barmherziger ist als wir und dass Gott manches, was uns Kopfzerbrechen bereitet, überraschend zum Guten wenden kann und dass in manchen unguten Dingen auch Chancen stecken, die es zu suchen und zu finden gilt.

Hüten wir uns also davor überall nach dem Haar in der Suppe zu suchen.
Und hüten wir uns vor vorschnellen Urteilen und bedenken wir, dass all
unser Wissen und Erkennen Stückwerk bleibt.

Wie heuchlerisches Pharisäertum aussehen kann, soll an einem neutralen, allerdings etwas überzeichneten Beispiel verdeutlicht werden, wobei, um Missverständnisse zu vermeiden, kein Bezug auf Glaubensinhalte genommen werden soll.

“Wie hat doch der Kandidat XY gleich gesagt? Er fährt gerne nach Tirol in Urlaub? Was wollte er damit sagen? Etwa dass er lieber Urlaub macht statt zu arbeiten? Und diskriminiert er nicht andere Urlaubsgebiete, wenn er ausdrücklich Tirol nennt? Und was bekommt er dafür? Haben wir es hier etwa mit einem Fall von Vorteilsannahme zu tun? Hierüber verlangen wir von XY Aufklärung! Er muss sich weiteren und unbequemen Fragen stellen!”

In eben dieser Art wurde auch im christlichen Bereich vorgegangen.
Im Katholizismus in Form der Inquisition und im protestantischen Bereich in Form der Gehirnwäsche, die, man kann es kaum glauben, eine protestantische
Erfindung ist.

In totalitären System wird das weiterhin so praktiziert, und bei uns in Ansätzen, wenn es um Rufmordkampagnen und ums Aufbauschen von Bagatellen geht.

Aus solchen Dingen gilt es zu lernen und es anders und besser zu machen.

Der Geist Gottes, um dessen Fülle wir bitten dürfen, der ein Geist der
Klarheit und Nüchternheit ist, möge uns vor allem Eiferertum bewahren und
die notwendige Gelassenheit schenken, mit der wir Andersartiges nüchtern
beurteilen und verstehen können um danach richtig handeln zu können.

Jörgen Bauer