Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet. Denn nach welchen Recht ihr
richtet, werdet ihr gerichtet werden und mit welchem Maß ihr messt, wird euch
zugemessen werden.

Matthäus 7, Verse 1 und 2

Warum bereitet uns das Richten Lust? Das tut es doch, wenn wir ganz ehrlich sind?! Es bereitet uns deshalb Lust, weil wir uns dabei besser fühlen.

Lieber Gott, ich danke, dass ich nicht so bin, wie dieser Zöllner…lässt Jesu den
Pharisäer im Gleichnis sagen.

Ich will nicht behaupten, dass das bei jedem und immer so ist. Aber dieser
Impuls, sich “besser zu fühlen”, lauert immer im Hintergrund.

Der Humorist – nicht Pfarrer – Wilhelm Busch, brachte das so treffend auf den
Punkt:

“Dass einer klüger ist wie wir, das macht und selten nur Pläsier, doch die
Gewissheit, dass er dümmer, erfreut fast immer!” (Wobei man anstatt
“klüger” und “dümmer” auch “besser” und “schlechter” sagen kann.)

Eigentlich schrecklich, dass wir so sind, und mir könnte dabei direkt übel werden. Deshalb wollen wir Gott bitten, dass ER uns von solchen Empfindungen reinigt und uns die Fülle seines Geistes schenkt, der uns
zum einen mit Demut, Liebe, Nachsicht und Barmherzigkeit und zum
anderen mit Nüchternheit, Sachlichkeit, Klarheit und Erkenntnis erfüllt.

Weltlich orientierte “Weltverbesserer” spüren auch dort, wo eigentlich
nichts zu finden ist, immer wieder “rechtes Gedankengut” in Gestalt von “Faschismus”, “Nazismus”, “Rassismus”, “Fremdenfeindlichkeit”, diversen
Arten von Diskriminierung usw. usf. auf, wozu es bereits ausreicht, dass sich
die so “Entlarvten” keiner korrekten Sprache bedienen, um das gesamte Repertoire an Verurteilungen ablaufen zu lassen.

Und manchmal wird direkt nach solchen Dinge gesucht und an sich
belanglose Äußerlichkeiten aufgebauscht. Auch hier gilt: “Suchet, so
werde ihr finden!”

Ich bemerke nun immer wieder, dass im christlichen Lager Gleiches geschieht, wenn auch unter anderem Vorzeichen.

Man sieht nicht mehr, dass der Glaube etwas ist, was froh, frei und fröhlich macht, etwas was stärkt und Mut gibt, sondern man sieht in erster Linie den
richtenden und strafenden Gott, den Gott mit dem erhobenen Zeigefinger, und daran hat man seine “frommen Vorstellungen” vom “einzig wahren Glauben” ausgerichtet.

Alles was wirklich oder auch nur vermeintlich nicht haargenau auf dieser Linie liegt, wird sofort des Abfalls, des Verrats am Glauben, der Irrlehre, “ökumenischer Umtriebe der Religionsvermischung” usw. usf. bezichtigt.

Dabei wird selbst vor dem eigenen Lager nicht halt gemacht, weshalb derjenige, der zur Besonnenheit und Prüfung rät, Gefahr läuft gleich mit in die
entsprechende Schublade gesteckt zu werden.

Damit wir uns recht verstehen: Es geht nicht darum, ein lasches, liberales Glaubensverständnis vom “nur lieben Gott”, der alles durchgehen lässt und
ein verfälschtes und verkürztes Evangelium zu rechtfertigen, sondern vor dem anderen Extrem, das aus Schubladen und Denkschablonen besteht, zu warnen.

Ich selbst war auch schon in Gefahr, in dieses Denken abzugleiten. Habe dann aber gemerkt, dass dies ein falscher Weg ist. Christen, die Ernst mit Gott und seinem Wort machen, sind hier möglicherweise besonders gefährdet.

Es gibt zum einen viele Dinge, die wir keinesfalls gutheißen und schönreden dürfen und bei denen wir auch keinesfalls mitmachen können.

Auf der anderen Seite müssen wir uns aber auch vor Scheuklappen und dem
bekannten Brett vor dem Kopf hüten, zu dem die Bibel ebenfalls werden kann.

Wir leben nun mal immer noch in dieser Welt und wenn ein wirklicher oder vermeintlicher “Irrlehrer” sich anschickte, mich aus einer akuten Not-, Gefahrenlage oder gar Lebensgefahr zu retten, dann werde ich zu ihm nicht sagen: “Hebe dich hinweg, du Sünder, denn mein Herr hat mir geboten, dich nicht einmal zu grüßen (geschweige denn zu kontaktieren)”.

Umgekehrt gilt dies natürlich auch, wenn ein “Irrlehrer” Hilfe braucht. Es kann
nicht so wie einst sein, wo ein unbescholtener Bürger, dadurch “unehrlich” und damit seiner Existenz beraubt wurde, weil er, ohne es zu wissen, einem Henker (“unehrlicher Beruf”) half, dessen Kutsche aus einem Graben zu ziehen. Diesen Fall gab es wirklich. Mit einem Henker Kontakt zu haben, machte “unehrlich”.

Ich will damit sagen, dass es nicht nur Schwarz und Weiß gibt, sondern auch ganz praktische und anerkennenswerte Bereiche des Mitmenschlichen, von denen wir uns weder ausschließen sollen noch können, besonders wenn wir Menschen für den Glauben gewinnen wollen.

Und bei allem Gerichtsernst Gottes, darf das über allen Geboten stehende Liebesgebot niemals vergessen werden, wonach wir Gott, unsere Nächsten,
einschließlich der Gegner und Feinde lieben und uns auch selbst annehmen
sollen, zumal uns Gott auch angenommen hat, und das auch dann, wenn der
Begriff “Liebe” durch den ständigen Gebrauch etwas gelitten hat und abgelutscht ist.

Gott ist Liebe, lesen wir in der Schrift, und ER ist als Schöpfer und Erhalter aller Menschen größer als unser Herz, und es wäre schlimm, wenn ER im Gericht unsere engstirnigen menschlichen Maßstäbe auch uns gegenüber anwenden müsste.

Jörgen Bauer