Komm, mein Freund, lass uns aufs Feld hinausgehen und unter Zyperblumen die Nacht verbringen, dass wir früh aufbrechen zu den Weinbergen und sehen, ob der Weinstock sproßt und seine Blüten aufgehen, ob die Granatbäume blühen. Da will ich dir meine Liebe schenken.

Hoheslied 7, Verse 12 und 13

Ist das Hohelied erotisch oder geistlich zu verstehen? In unser sexualisierten
Zeit besteht die Neigung das Hohelied erotisch in dem Sinne zu deuten,
dass hier die Freuden erotischer Liebe verherrlicht werden.

In diesem Sinne hatte es wohl auch der “verpartnerte” Pfarrer N.N. von
der Erlöserkirche in XY verstanden, der einmal zu einem sonntäglichen “erotischen Gottesdienst” – Einlass ab 16 Jahren – einlud, zu dem er ankündigte, auch Worte wie “Ficken” und “Poppen” (kostenlose
Sex-Kontakte per Internet) zu gebrauchen. Tatsächlich verzichtete er aber
darauf diese Begriffe im Gottesdienst zu verwenden.

Da strömten die Leute (und auch die Journalisten) herbei, die sich diese Art von “Gottesdienst” nicht entgehen lassen wollten. Der Pfarrer begrüßte dann die Besucher im “Weinberg der Liebe”. Der Pfarrer nannte die infrage kommenden Dinge beim Namen, es ging recht turbulent zu und die Presse hatte etwas zu berichten.

Wenn das Hohelied erotisch zu verstehen ist, dann ist es in jedem Fall sehr
zartfühlend und empfindsam formuliert, dabei aber doch voller Leidenschaft.
Gossenausdrücke und eine Primitivsprache wird man hier vergeblich suchen.

Es gibt aber eine lange und ältere Auslegungstradition, in welcher das Hohelied auf das Liebesverhältnis zwischen Gott und seinem Volk und später auf die Beziehung zwischen Christus uns seiner Gemeinde gedeutet wird. Wenn man die Kommentierung zum Hohenlied liest, ergeben sich hier zahlreiche Anknüpfungspunkte, wenngleich vieles offenbleibt. Das Hohelied wird der biblischen Weisheitsliteratur zugerechnet.

Dabei ist zu sehen, dass die Ehe, die Liebe zwischen Mann und Frau, ein Abbild der Gemeinschaft zwischen Gottheit und Menschheit ist, was den besonderen Wert der Ehe ausmacht und erklärt, warum die Homosexualität für Gott ein Greuel ist.

Im Neuen Testament ist vom Bräutigam Christus und seiner Braut, der Gemeinde, die Rede. Die Vereinigung zwischen beiden wird als Hochzeit bezeichnet und beschreibt damit die tiefe und innigliche Verbindung und
Liebesbeziehung zwischen Christus und den Seinen, wie man sie als
Abbild und Vorabschattung in der liebenden ehelichen Vereinigung findet.

Von daher bekommen Begriffe, wie Hurerei, Unzucht, Ehebruch usw. ihren doppelten Sinn, die einmal Fehlverhalten gegenüber Gott und einmal fehlerhaftes menschliches Tun beschreiben.

Hinsichtlich des Verhaltens Gott gegenüber, werden in der Bibel entsprechende Vergleiche gebraucht, wie zum Beispiel hier:

Du Menschenkind, es waren zwei Frauen, Töchter einer Mutter. Die wurden Huren in Ägypten schon in ihrer Jugend; dort ließen sie nach ihren Brüsten greifen und ihren jungen Busen betasten.
Hesekiel 23, Verse 2 und 3

Mit der Mutter und den Töchtern sind Israel und Jerusalem und Samaria gemeint, die für das Nord- und das Südreich Israel stehen.

Der Mensch hat, als Folge des Sündenfalles, als Schutzfunktion, ein natürliches, angeborenes Schamgefühl, das nicht anerzogen ist. Erst in
Gottes neuer Schöpfung wird wieder alles durchsichtig, wie Glas, sein.

Der Psychoanalytiker Siegmund Freud, der ein Experte in Sachen Sexualität
war, sagte, dass Schamlosigkeit ein Zeichen von Schwachsinn ist, womit über
den “erotischen Gottesdienst” alles gesagt ist.

Jörgen Bauer