Ist nicht Esau Jakobs Bruder? spricht der HERR; und doch hab ich Jakob lieb und hasse Esau.

Maleachi 1, 2 und 3

Als ich diese Verse erstmals las (in Römer 9, 13 wird diese Aussage noch einmal bestätigt) bin ich erschrocken. Kann Gott so etwas tatsächlich gesagt haben, war mein erster Gedanke.

Haben wir von Gott nicht eine ganz andere Vorstellung? Den des vorbehaltlos Liebenden, bei dem es völlig unmöglich ist, dass er eines seiner Geschöpfe, und dazu noch einen Menschen, hasst! (Mit „Hass“ ist „entschiedene Ablehnung“ gemeint.)

Aber woher haben wir dieses Bild von Gott? Etwa daher, dass ständig nur noch von einem „lieben Gott“ die Rede ist, der alles wegsteckt? Wird uns am Ende ein einseitiges Gottesbild vermittelt, bei welchem unbequem scheinende Aussagen diskret übergangen werden?

Ich habe mich deshalb auch nicht an der bekannten Frage des Widersachers, „sollte Gott gesagt haben?“ aufgehalten, sondern akzeptiert, dass Gott das tatsächlich so gesagt und gemeint hat und dass es gilt herauszufinden, welche Konsequenzen das hat.

Dabei ist es unerheblich, ob mit Jakob und Esau die beiden Brüder unmittelbar gemeint sind oder ob sich das auch auf deren Nachkommen bezieht, weil mit „Jakob“ auch das Volk Israel bezeichnet wird und „Esau“ für das Brudervolk der Edomiter steht.

Dafür, dass damit auch die Völker gemeint sind spricht, dass Israels Erwählung bestehen bleibt, wohingegen in Maleachi 2 Vers 4 über die Edomiter geschrieben steht: „Werden sie bauen, so will ich abbrechen, und man wird sie nennen ein Land des Frevels und ein Volk über das der Herr ewiglich zürnt.“

Aus dem Alten Testament wissen wir, dass sowohl Jakob, als auch später das Volk Israel, manches taten, was Gottes Zorn und Gericht hervorrief, wobei Gott, nachdem es im Volk zu einer Läuterung kam, immer wieder vergab und einen Neuanfang mit dem Volk machte.

Aus der Schrift geht hervor, dass sich die Edomiter gegenüber Israel versündigten und in den Prophetenbüchern wird mehrfach angedeutet, dass die Edomiter ständig überaus schlimme Dinge taten, die Gott sehr missfielen. Dadurch wird erklärbar, warum Gott Esau hasst und ER mit den Edomitern anders als mit dem Volk Israel umging.

Das Buch des Propheten Obadja befasst sich ausschließlich mit dem Strafgericht über Edom und kann damit als eine Vorabschattung des letzten Gerichts Gottes über eine abgefallene, entartete und unbußfertige Menschheit verstanden werden.

Darüber, dass Gott den Edomitern Gelegenheit zur Buße gab, wird nichts berichtet. Vielleicht waren sie auch nicht bereit umzukehren. Wir müssen deshalb davon ausgehen, dass man es mit Gott tatsächlich so verderben kann, dass nur noch das Gericht bleibt. Das ist es, was den heutigen Text aktuell werden lässt.

Gerade im Neuen Testament, in dessen Zentrum die übergroße Liebe Gottes zu uns Menschen steht, werden gleichzeitig auch der Zorn und das Gericht Gottes in besonderer Schärfe deutlich. Das Kreuz Christi, der für unsere Sünden stirbt, damit wir frei ausgehen, ist somit Zeichen der Liebe als auch des Zorn Gottes, der den Sünder liebt, der Sünde aber unversöhnlich gegenübersteht.

Jesus sagt, dass der Zorn Gottes über dem bleibt, der sich seinem Wort gegenüber verschließt, und Paulus schreibt im Römerbrief vom Ernst und der Güte Gottes, wobei es an uns liegt, ob wir Gott als gütigen Vater oder als strengen Richter erleben.

Es liegt auf biblischer Linie, dass man es mit Gott auch verscherzen kann. Vorstellbar wäre, dass sich jemand so entschlossen und ausdauernd, in Wort und Tat, dem Anruf Gottes widersetzt, bis ihn Gott „in Ruhe lässt“. Das „Zu spät“ kann schon während der Lebenszeit eintreten, denn eine Umkehr ist nur möglich, wenn Gott sie schenkt.

Das ist aber allein die Sache Gottes, weshalb uns nichts davon abhalten darf, zum Glauben einzuladen, damit Menschen aus der Gottesferne herausfinden, denn wir können nicht beurteilen, wem Gott Umkehr und Glauben schenken wird.

Lasst uns deshalb die beiden Seiten Gottes sehen und ernst nehmen. Auf die wohlmeinenden Worte, wie sie an Beerdigungen zu hören sind, wonach nur „herzensgute Menschen“ sterben und jeder in den Himmel kommt, der irgendwann einmal getauft wurde, sollte man sich nicht verlassen.

Jörgen Bauer