Der das Auge gemacht hat, sollte der nicht sehen?

Psslm 94, Vers 9

Wenn man an den Augen operiert wurde – und die Operationen sind erfolgreich verlaufen – bleibt es nicht aus, dass man neuerlich über die Augen und das
Wunder des Sehens nachdenkt.

Schon der Bau des Auges ist eine technische Meisterleistung. Fotoapparate sind
dem Auge nachgebildet, wobei die Netzhaut mit den Sehzellen, dem Film bzw.
dem Chip entspricht auf dem die aufgenommen Bilder abgespeichert werden.

Im Unterschied zum Film oder Chip werden die einzelnen Bildpunkte in Signale,
die abwechselnd aus biochemischen Reaktionen und elektrischen Impulsen
bestehen, über die Leitung des Sehnervs an das Sehzentrum des Gehirns
weitergeleitet, wo dann ein komplettes Bild der vom Augen aufgenommen
Umwelt entsteht, das vom Bewusstsein wahrgenommen wird.

Das eigentlich Wunderbare und bis heute nicht geklärte Phänomen des Sehens
besteht darin, dass das Sehen ein entsomatisierte Sinn ist. Anders als beim Fühlen und Schmecken, wo es auf den unmittelbaren Kontakt ankommt, nehmen
wir etwas außerhalb des Körpers Befindliches wahr, was auch für das Hören gilt. Das im Sehzentrum entstandene Bild wird gewissermaßen nach Außen
projiziert, wobei wir uns als in einer dreidimensionalen Welt befindlich erleben.

Und noch etwas etwas Erstaunliches: Das Bild der Umwelt bleibt stabil, egal wie wir uns auch Drehen oder Wenden. Dafür sorgen hochkomplizierte Verrechnungsvorgänge im Kleinhirn.

Alle diese Vorgänge, angefangen bei der Bildübermittlung bis zur Verarbeitung im Gehirn, laufen innerhalb von Sekundenbruchteilen ab. Trotzdem vergeht dabei etwas Zeit, und damit wir nicht dauernd gegen Hindernisse laufen, werden die
Sinneseindrücke zeitlich versetzt verarbeitet.

Sie werden gewissermaßen in die Zukunft projiziert, dort verarbeitet und kommen dann passgenau in die Gegenwart zurück. Das ist völlig rätselhaft und allensfalls quantenmechanisch erklärbar, wo Raum und Zeit keine Rollen spielen.

Und noch etwas Bedeutsames:

Es muss eigentlich klar sein, dass unser Gesichtssinn nur einen winzigen
Ausschnitt der Wirklichkeit wiedergibt, der auf der Wahrnehmung aufgrund
elektromagnetischer Wellen einer bestimmten Wellenlänge (Licht) beruht,
wobei unser Gehrin und Bewusstsein, die Welt in einer bestimmten Weise
deuten.

Wir können deshalb nur sagen wie die Welt aussieht, wenn sie von menschlichen Augen wahrgenommen und das entsprechend verarbeitet wurde.

Wie die Welt wirklich aussieht wissen wir nicht. Für Lebenwesen mit Sinnesorgangen, die auf andere Qualitäten der Welt abgestimmt sind, sähe sie völlig anders aus und niemand kann mit letzter Gewissheit sagen, ob
der andere die Welt ebenso wie ich sieht.

So kann ich mit einem anderen schnell übereinkommen, dass etwas z.B.
rot ist. Wir haben gelernt, dass die Farbe, die wir jeweils sehen “rot” ist. Damit ist aber nicht erwiesen, dass der andere dieselbe Farbe sieht
wie ich. Wäre bei ihm der Farbsinn vertauscht, sodass er “rot” in einer
völlig anderen Farbe, als ich, wahrnimmt, wären wir trotzdem immer einer Meinung dass es um “rot” geht.

Dass das Sehen dazu auch noch ein psychologischer Vorgang ist, bei dem wir nur das sehen, was wir sehen wollen bzw. was unserer Prägung entspricht, ist nochmal eine andere Sache.

Wie närrisch ist da doch die Anschauung, dass das Auge ein evolutionäres
Zufallsprodukt ist, das von selbst aus einer Laune der Natur heraus entstanden ist bzw. sich von selbst “höherentwickelt” hat.

Jörgen Bauer