Er war überzeugt: „Ich bin geistlich richtig weit.“ Er meint, er hat Demut und liest sogar jedes Jahr die Bibel einmal komplett durch. Leitet einen Hauskreis. Und seine Gebete – so durchdacht, so tief, dass man sie fast in ein Buch drucken könnte. Ein bisschen innerlich stolz war er schon: „Also wenn einer auf einem guten Level mit Gott ist – dann ich.“
Bis er in der dritten Reihe saß, bei einer ganz einfachen Andacht – gehalten von jemandem, den er insgeheim belächelt hatte. – Und genau da traf ihn ein Satz wie ein Schlag:
„Gott kann dich erst wirklich gebrauchen, wenn du aufhörst, dich selbst so wichtig zu nehmen.“
Zack. Innere Stille. – Da war er: sein persönlicher Pfahl im Fleisch. Nicht sichtbar, aber schmerzhaft echt. Gott hatte ihm einen Spiegel vorgehalten – und gezeigt: Du bist nicht die Sonne. Du bist nur ein Fenster, durch das das Licht scheint.
Und genau darum geht’s heute: Nicht um perfekte Gebete oder geistliche Super-Performance. Sondern um diese heilsamen Momente, in denen Gott uns wieder mit den Füßen auf den Boden der Gnade stellt, damit er uns als Werkzeuge gebrauchen kann.
Denn das ist kein modernes Problem. Schon Paulus, der Superstar der ersten Christen-Generation, hat genau das erlebt: Er war hoch unterwegs – Visionen, Offenbarungen, geistliche Höhenflüge, wie sie kaum ein Mensch erlebt hat.
Aber genau da, an der Spitze seiner geistlichen Karriere, greift Gott ein – und zieht die Notbremse. Nicht aus Wut, sondern aus Liebe.
Eine der meistdiskutierten und geheimnisvollsten Stellen in den Paulusbriefen ist 2. Korinther 12, 7: „Ja, ich habe außerordentliche Offenbarungen gehabt. Damit ich mir darauf aber nichts einbilde, hat Gott mir einen Dorn ins Fleisch gedrückt. Ein Engel Satans darf mich mit Fäusten schlagen, damit ich nicht überheblich werde.“
Der Kontext dieses Kapitels handelt von den Visionen und Offenbarungen, die Paulus erlebt hat. Er erwähnt, dass er vor 14 Jahren eine tiefgreifende, mystische Erfahrung erlebt hat, die über das normale menschliche Erleben hinausgeht.
Paulus, der große Apostel, einer der hellsten Köpfe und leidenschaftlichsten Bekenner des Glaubens, bekommt von Gott ein Dornstück ins Leben gesetzt. Kein echtes Stück Holz, kein Nagel – sondern einen inneren Schmerz, eine dunkle Kraft, ein unsichtbares Leiden. Martin Luther nennt es einen „Pfahl im Fleisch“. Etwas, das sticht, das schmerzt, das nicht aufhört. Warum? Damit Paulus nicht abhebt, damit er nicht meint, er sei über dem Rest der Welt.
Und das ist das Überraschende: Sogar dieser geistliche Titan braucht ein Gegengewicht gegen den eigenen Stolz. Nicht weil er arrogant gewesen wäre, sondern gerade weil er so begabt war, so fromm, so erleuchtet, so nah an Gott. Selbst die größten Diener Gottes sind nicht immun gegen Stolz. Gott selbst muss manchmal eingreifen, um uns vor dieser gefährlichen Sünde zu bewahren. Der Stolz schleicht sich nämlich nicht erst dann ein, wenn man sich auf die Brust klopft. Er kommt leise, oft über die Hintertür rein ins Herz.
Du kannst Bibelwissen haben, Lobpreis leiten, Insta-Reels mit Gebetsimpulsen posten – und trotzdem innerlich anfangen, deine eigene „Heiligkeit“ zu feiern. Du kannst so sehr auf deine geistliche Leistung stolz sein, dass du vergisst, worum es eigentlich geht: Gottes Geschenk. Seine Gnade. Sein Kreuz. Nicht dein Register.
Und Gott? Gott arbeitet oft auf paradoxe Weise. Er gibt außerordentliche Gaben, aber er lässt auch Leid zu, um uns zu bewahren und zu formen. Es ist eine tiefgründige Lektion über Gottes Umgang mit seinen Dienern und die Rolle von Leid im Prozess der Demütigung und des geistlichen Wachstums. Unsere Schwachheit kann der Ort sein, an dem Gottes Kraft erst richtig sichtbar wird oder reifer im Glauben werden. Erst in der Demut erkennen wir die Größe Gottes und die unfassbare Gnade, die wir zugesprochen bekommen haben.
Gott holt uns manchmal runter – nicht um uns kleinzumachen, sondern um uns echt zu machen. Damit wir wieder wissen, wo unser Platz ist: nicht auf dem Thron, sondern auf festem Boden. Nicht über den anderen, sondern mitten unter denen, die auf Gnade angewiesen sind.
Gnade ist nicht der Trostpreis für Versager. Sie ist der einzige Grund, warum überhaupt jemand vor Gott bestehen kann – auch Paulus. Auch du.
Vielen Dank fürs Lesen!
Dein Peter
Ja, ich habe außerordentliche Offenbarungen gehabt. Damit ich mir darauf aber nichts einbilde, hat Gott mir einen Dorn ins Fleisch gedrückt. Ein Engel Satans darf mich mit Fäusten schlagen, damit ich nicht überheblich werde.
2. Korinther 12, 7