Die Verantwortung der Könige

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Wenn in den Nachrichten von „denen da oben“ geredet wird, klingt es oft nach zwei Welten: hier das Volk, dort die Mächtigen. Die einen fühlen sich ohnmächtig, die anderen unantastbar. Psalm 2 sprengt dieses Gefühl ein wenig. Er zoomt nicht zuerst auf den „kleinen Mann“, sondern direkt auf die, die Verantwortung tragen: „So lasset euch nun weisen, ihr Könige … Dienet dem Herrn mit Furcht!“ Als Martin Luther vor rund 500 Jahren diese Bibelverse auslegte, hörte er sehr genau auf diesen Ton, der in diesen Versen steckt – er legte den Finger auf die Obrigkeit, auf Regierende, Bildungs- und Meinungsführer. Wenn die Regierenden Gottes Wort verachten oder verfolgen, kann das Volk die Lage auch nicht retten. Wenn aber die Spitze sich an Christus orientiert, kann sogar ein chaotisches Volk aufgefangen werden und das Volk kann nichts dagegen ausrichten. In dieser Spannung zwischen Volk und Obrigkeit, Freiheit und Verantwortung, spielt sich Luthers Auslegung ab – und sie klingt erschreckend aktuell, wenn wir an Bildungskrise, Vertrauensverlust in Politik und den Umgang mit Religion im öffentlichen Raum denken.

Die Bibel zieht an vielen Stellen einen klaren Gedanken durch: Wer Macht hat, steht in besonderer Verantwortung vor Gott. Jeremia prangert Könige an, die Recht und Gerechtigkeit missachten (Jeremia 22). Paulus nennt die Obrigkeit „Gottes Dienerin“ zum Guten (Römer 13, 4). Jesus fasst es zu: „Wem viel gegeben ist, bei dem wird man viel suchen“ (Lukas 12, 48).

Diese Bibelstellen können als Warnung gesehen werden. Kirchen und Schulen waren mal Orte, an denen Gottes Wort lebendig sein konnte, Menschen geprägt und orientiert wurden. Wo sie gut stehen, dort segnet Gott die Regierenden, die Raum für sein Wort lassen, die Bildung fördern und das Evangelium nicht knebeln.

Luther kämpfte dafür, dass Städte und Fürsten Schulen gründen und finanzieren, weil ohne Bildung und Bibelkenntnis ein Volk innerlich verarmt. Augustin hatte ähnlich zugespitzt: Ein Staat ohne Gerechtigkeit sei nur „eine große Räuberbande“. Gerechtigkeit aber braucht Wahrheit – und Wahrheit braucht Orte, an denen sie gelernt werden kann.
Johannes Calvin spricht von den Obrigkeiten als von „Hütern der öffentlichen Religion“. Dietrich Bonhoeffer betont später, der Staat müsse dem Schwachen Raum schaffen und dürfe sich nicht selbst zum Gott machen. Über all die Jahrhunderte klingt ein Leitmotiv: Gott ruft Mächtige in die Verantwortung, seine Ordnung zu schützen, nicht zu zerstören.„Könige und Richter“ – das sind heute Politiker, Wirtschaftsführer, Medienleute, Kulturmachende, Bildungslenker. Und im Kleinen sind es die Eltern, Lehrer, Gemeindeleitung und jeder, der Einfluss hat.

Am Ende bleibt hier die Frage: Dient Macht dem Guten – oder nur sich selbst? Wird Bildung so gestaltet, dass Wahrheit, Gewissen, Charakterbildung Platz haben? Oder geht es nur um Funktionieren, Karriere, Ideologie und Machtsicherung?

Wo Räume geschaffen werden, in denen Gottes Wort gehört, Fragen gestellt, Schuld benannt und Hoffnung gelernt werden darf, dort stärkt Gott eine Gesellschaft von innen. Wo solche Räume austrocknen – sei es durch Gleichgültigkeit, Spott oder bewusste Verdrängung – verrohen auf Dauer auch Politik und Öffentlichkeit.

Das heißt praktisch für Regierende, dass Macht Dienst vor Gott ist – auch wenn man selbst nicht gläubig ist. Entscheidungen über Bildung, Religionsfreiheit, Medien und Rechtsprechung haben eine geistliche Bedeutung. Für Bürger oder an das Volk gerichtet, bedeutet es, dass wir nicht einfach Opfer „der da oben“ sind. Wir können beten, wählen, kritisieren, mitarbeiten, Verantwortung im eigenen Rahmen übernehmen. Auch Gemeinden tragen eine Verantwortung und können sich nicht in eine „neutrale“ Position zurückziehen. Kirche ist kein Wellnessclub für Fromme, sondern Gedächtnis und Gewissen der Gesellschaft. Wo das Evangelium klar verkündet und Menschen in der Liebe Christi geprägt werden, entsteht leiser, aber nachhaltiger Widerstand gegen zynische Macht und Ausbeutung.

Psalm 2 endet nicht nur mit Drohung, sondern mit einem offenen Angebot: „Wohl allen, die sich bergen bei ihm.“ Furcht vor Gott ist nicht Panik, sondern die nüchterne Einsicht: Ich bin nicht der Mittelpunkt der Welt. Das gilt für Könige wie für Bürger. Gott ist kein Feind der Politiker, sondern ihr Herr. Er ruft Mächtige zur Demut und zum Dienst, er ruft das Volk zur Mitverantwortung und zum Vertrauen. Wer Macht hat, soll Christus dienen. Wer keine Macht hat, soll sich nicht in Zynismus verbeißen, sondern in Gott bergen und seinen Einfluss nutzen.

Vielen Dank fürs Lesen!

Dein Peter


Und nun, ihr Könige, kommt zur Vernunft! / Lasst euch warnen, Richter der Welt! Unterwerft euch Jahwe und zittert vor ihm – und jubelt ihm zu!

Psalm 2, 10-11