„Ich bin ein Wurm und kein Mensch.“ – so rau klingt es im Gebet, im Psalm 22. Ein Mensch, hier David, schreit in diesem Klagelied zu Gott: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“. Und das erinnert uns an den am Kreuz hängenden Jesus. Der Psalm beginnt tief unten – mit Scham, Spott, körperlicher Bedrohung – und endet oben ab Vers 23 in Lob und Vertrauen. Der Satz „Ich bin ein Wurm und kein Mensch“ in Vers 7 ist keine Selbstverachtung, sondern Sprache für radikale Erniedrigung: So klein und wehrlos fühlt sich der Beter unter Hohn und Gewalt. Dieser Psalm gibt uns Worte, wenn wir keine haben. Er erlaubt ehrliche Klage, ohne frommen Lack. So ein Klagepsalm zeigt uns, wir dürfen Gott etwas vorjammern und müssen ihm gegenüber nicht „politisch korrekt“ auftreten.
Wenn Jesus den Psalm betet, ist klar: Gott begegnet uns nicht abstrakt, sondern in Worten, die unsere Realität kennen. Der Psalm öffnet einen Blick auf den leidenden Messias – und zeigt zugleich den Weg vom Dunkel zum Vertrauen. Das ist eine „Gebets-Schule“ für harte Zeiten.
Wie Christus, das lebendige Gotteswort, „in Haut und Haaren“ zur Welt kam, so kommt uns Gott in seinem Wort der Bibel entgegen – verletzbar wie ein „Wurm“, leicht zu übersehen, misszuverstehen, zu missbrauchen. Wer die Bibel ehrt, ehrt damit nicht Papier, sondern Gottes Zuwendung in Menschenworte, damit wir es verstehen können. Darum verwechseln viele Christen „bibeltreu“ leicht mit Buchstaben-Treue – dabei meint es, dem Gott treu zu sein, der durch seinen Geist die menschlichen Worte der Schrift inspiriert hat und sie uns lebendig erklärt. Wer dem Wesen Gottes nicht nahekommt, wird Gottes Wort auch nie wirklich verstehen.
Gegen viele „wichtige“ Bücher wirkt die Bibel wie ein Wurm. Sie bekommt selten die Ehre und den Stellenwert, die man anderen Texten gibt. Man liest Studien, Mails, News, Kommentare – aber die Bibel? Wenn’s gut läuft, liegt sie irgendwo herum. Vielleicht als App auf Seite drei, ungelesen zwischen Reels und To-dos. Manchmal wird die Bibel für Ideologien eingespannt, als Beweistext für alles Mögliche: für Härte wie für Kuschelkurs, für Nationalstolz wie für Zynismus.
Und doch – das Wort Gottes ist kein toter Text. Wie Christus nicht im Grab blieb, lässt sich die Bibel nicht wegsperren. Gott wirkt durch sein Wort. Menschen, die nicht damit gerechnet haben, werden davon getroffen – mitten im Burnout, im Hospitalflur, im Streit, in einer Nacht ohne Schlaf. Der Text der Bibel stellt Fragen, die vielleicht ausweichend beantwortet werden. Er tröstet, wo die eigene Filterblase nur noch Empörung liefert. Der Bibeltext widerspricht einem – und tut einem gut. Gottes Geist wirkt durch das Wort wie er will und oft ganz anders, als wir denken.
Es ist ein gutes Zeichen, wenn Gott dir diese Lust auf die Bibel schenkt. Nicht als To-do („ich muss mehr Bibel lesen“), sondern als Liebe: Du greifst gern dazu und behandelst sie als etwas Wertvolles. In einer Welt, in der Feeds um deine Minuten feilschen, ist das leiser Widerstand. Wer das Wort Gottes liebt, wird von Gott nicht klein gehalten, sondern aufgerichtet. Er macht dich stark und gibt dir Rückgrat, damit du auch bei Gegenwind nicht einknickst – weder vor Meinungsdruck noch vor der Angst um Job, Preise oder Politik. Gottes Wort spricht ehrlich mit dir – so ungeschminkt wie dieser Psalm – und führt dich zugleich in die Freiheit, die Christus schenkt.
Anders ausgedrückt: Die Bibel ist kein Meme, das morgen wieder out ist. Sie ist eher wie Brot – unscheinbar, nicht flashy, aber sie hält dich am Leben. „Wurm“ heißt nicht „wertlos“, sondern „verwundbar“: Gott kommt nicht als Powerpoint, sondern als verletzbares Wort. Das fordert uns heraus. Wer die Schrift nur benutzt, um andere zu schlagen oder Bestätigung für das eigene Denken sucht, hat sie noch nicht verstanden.
Fragst du dich, wo du startest? Lies z.B. einen Psalm laut oder fang mit dem Markus-Evangelium an. Markier, was dich anspricht. Schreib eine Frage an den Rand und überlege, was du Gott sagen würdest, zu dem Text, den du gelesen hast. Du kannst auch einen Bibel-Leseplan nutzen oder dir den täglichen Bibeltext von www.auftanken.de per E-Mail zuschicken lassen. Lies nicht allein. Verabrede dich mit einigen Leuten, lest gemeinsam in der Bibel und sprecht darüber. Du kannst fest damit rechnen, dass aus alten Texten und Buchstaben Gott etwas Neues in dir schafft.
Wenn’s stockt, nicht entmutigen lassen – weder von Spott noch von Müdigkeit. Gott wird dich segnen und gibt dir Rückgrat und ein weiches Herz.
Vielen Dank fürs Lesen!
Dein Peter
Aber ich bin ein Wurm und kein Mann
Psalm 22, 7