Schilder, Sprechchöre, Wut und viel Energie – eine Demo in der Stadt. Am Rand steht einer mit verschränkten Armen und sagt: „Wir sind die Richtigen, wir haben verstanden, die anderen checken’s nicht.“ Zwei Straßen weiter verteilt eine stille Gruppe Suppe an Wohnungslose und andere Bedürftige – ohne Selfies und Insta-Story. Beides nennt sich „Engagement“, aber es hat einen anderen Geist. Das ist im Glauben ähnlich. Wir lieben das Gefühl, zur „richtigen Gruppe“ zu gehören – die Bibeltreuen, die Progressiven, die Engagierten, die Liturgischen oder die, die die richtige Kultur leben. Und unmerklich rutscht’s ins Besserwissen. Dann lesen wir Jesu Gleichnis in Matthäus 20, 10 und merken, Gottes Gerechtigkeit geht anders: „Als nun die Ersten an der Reihe waren, dachten sie, sie würden mehr erhalten.“ Die Pointe: Glaube ist kein VIP-Bändchen für moralische Überlegenheit. Er ist Kraft zur Liebe – besonders dort, wo Gerechtigkeit und Barmherzigkeit auf dem Spiel steht. Die Liebe ist der Stoff, mit dem das Reich Gottes gebaut wird.
Im Weinberg-Gleichnis sprengt der Gutsherr die Leistungstabellen: Alle bekommen den einen zugesagten Denar. Das ist nicht Willkür, sondern Gnade – und ein Wink Richtung Gerechtigkeit: Gottes Güte setzt den Vergleichsdruck außer Kraft und hebt die Letzten sichtbar an. Martin Luther beschäftigte sich auch mit dieser Bibelstelle und nahm die innere Dynamik aufs Korn: Freude über gelungene Pflichterfüllung ist okay, gefährlich wird sie, wenn sie die Gewissensruhe an meine Performance bindet. D.h., ich bin jemand besseres, weil ich etwas geleistet habe. Genau da wachsen Arroganz und Gruppendenken: „Wir – die Ersten – verdienen mehr.“ Jesus entlarvt in diesem Gleichnis. Wer sich auf Werke oder Zugehörigkeit verlässt, verfehlt den Glauben. Denn Glaube hängt nicht an der richtigen Blase, sondern an Christus – und trägt Frucht für den Nächsten.
Hier kommt es auf die Reihenfolge an. Nicht Werke, sondern Gnade kommt zuerst. Wer verstanden hat, welche Gnade er erhalten hat, wird dankbar. Wer dankbar ist, vergleicht nicht und stellt sich nicht über andere. So entsteht sichtbares Verhalten und Wirken in dieser Welt. „Aus Glauben… damit sich niemand rühme.“ Das Rühmen liebt jedoch neue Kostüme. Fromme Checklisten, soziale Label, moralische Zugehörigkeiten. „Ich habe gebetet, gespendet, demonstriert – also stehe ich höher.“ Doch Jesus widerspricht: Der Lohn ist Geschenk. Daraus folgt nicht Passivität, sondern wirksame und aktive Liebe. Pflege des Glaubens – Gebet, Bibel, Liturgie, Askese – ist großartig, wenn sie Gutes bewirkt: wenn sie das Gewissen sensibilisiert, die Geduld verlängert, die Hand für Schwache öffnet. Ohne diese Frucht wird Spiritualität zur Selbstheiligung. Sie ist dann sauber glänzend, aber unfruchtbar und hat nichts mehr mit dem zu tun, was Gottes Auftrag ist. Das Weinbergbild hilft zu verstehen, dass der eine Denar für alle, auch die Spätgekommenen wert schätzt und Respekt erweist. Gottes Gerechtigkeit macht die Personen nicht gleich. Aber sie durchkreuzt Hierarchien des Besser-Seins. Wer sich „richtiger Gruppe“ sicher weiß, steht in Gefahr, die Letzten zu verachten. Evangelium aber macht parteiisch für Benachteiligte, ohne neue Verachtung zu züchten.
Wann denke ich „Wir sind die, die’s kapiert haben“ – politisch, kirchlich, kulturell? Bekenne es Gott. Bitte um den Blick Jesu für die „Letzten“ in deinem Umfeld: prekär Beschäftigte, Geflüchtete, Alleinerziehende. Tu wöchentlich etwas, das keine Gruppe größer macht – und niemand sieht. Das entzieht der Selbstgerechtigkeit die Bühne.
Mach mal eine Woche ohne fromme oder soziale Rankings. Statt „Wir machen’s besser“, „Herr, erbarme dich – und gebrauche uns.“ Suche Kooperation mit Menschen außerhalb deiner Bubble. Gnade zerreißt Filterblasen und baut Brücken zugunsten derer, die wenig Zugang haben.
Der Selbstgerechte und Selbstverliebte liebt den Applaus und die Zugehörigkeit zur richtigen Gruppe. Doch Christus liebt Menschen – besonders die Übersehenen. Darum pflege deinen Glauben, ja! Aber prüfe ihn an seiner Frucht. Wird jemand satt, gehört, getröstet, gestärkt? Wenn deine Christlichkeit dich aus der Zuschauertribüne in den Weinberg schickt, ist sie echt. Wenn sie dich nur in die Loge der „Richtigen“ setzt, braucht sie Umkehr. Die gute Nachricht lautet, der Lohn ist schon geschenkt. Frei von Punktejagd können wir mutig für Gerechtigkeit arbeiten und einstehen – nicht, um selbst besser zu sein oder sich besser zu fühlen, sondern weil Gnade längst besser und gerettet macht.
Vielen Dank fürs Lesen!
Dein Peter
Als nun die Ersten an der Reihe waren, dachten sie, sie würden mehr erhalten.
Matthäus 20, 10







