Von der leidenden Kirche lernen

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Stell dir eine Kerze vor, die im Wind flackert. Von außen sieht es aus, als ginge sie jeden Moment aus. Und doch: Die Flamme richtet sich immer wieder auf. So beschreibt Paulus das Leben der Christen: „Als Sterbende – und siehe: wir leben“ (2.Korinther 6, 9). Eine Kirche, die leidet. Unser Blick heute auf Afrika oder Asien, auf Schwestern und Brüder unter Druck, macht diesen Satz schwer. Wir spüren Ohnmacht, vielleicht sogar Lähmung. Aber das Evangelium lädt uns ein, die Dinge doppelt zu sehen. Zu sehen, was die Augen sehen – und was Gott wirkt.

Ja, es tut weh, die Nachrichten zu lesen: entführte Pastoren, niedergebrannte Kirchen, Familien auf der Flucht. Das ist realer Verlust, keine spirituelle Übung. Die Bibel verweist dieses Leid nicht in den Hinterhof der Gefühle; sie stellt es ins Gebet: „Gedenkt der Gefangenen, als wärt ihr mitgefangen“ (Hebräer 13, 3). Und doch endet der Satz nicht im Dunkel. Unsere Zeit auf der Erde ist kurz; Christus hat Wohnungen bereitet. Diese Perspektive ist kein Zuckerguss, sondern Sauerstoff. Sie bewahrt uns davor, in Betroffenheit zu versinken, und macht uns fähig, weiterzugehen: zu beten, dass die Verfolgten Trost spüren; zu hoffen, dass sie Mut fassen; zu glauben, dass Christus mitten im Feuer ist. Denn dort, wo Menschenkraft endet, fängt Gottes Kraft an. Das ist die große Paradoxie des Evangeliums: Schwachheit ist nicht das Aus, sondern der Durchgang, durch den Gottes Gegenwart hindurchstrahlt.

Schon Mittelalter beobachtete Martin Luther sein Umfeld scharf: Gott lässt die Gegner manchmal aufblähen, als hätten sie den Sieg. Es wirkt, als lägen die Mächtigen oben und die Schwachen unten. Doch Gott ist nicht abwesend – er ist verborgen gegenwärtig. Wenn jemand sich genug aufgeblasen hat oder eine Blase voll ist, „sticht er ein Loch“. Dann zerfallen Pläne, Wirtschaftskrisen entstehen, Angstregime bröckeln, Systeme kollabieren. Die Narren merken nicht, dass ihr scheinbarer Höhenflug von Gottes Arm nicht getragen ist. Diese Einsicht erdet uns. Wir müssen nicht zynisch werden – wir dürfen nüchtern sein. Gott verliert nicht die Übersicht. Er führt anders, tiefer, leiser. Das Kreuz sah aus wie Endstation – es war der Anfang. Darum rechnen Christen damit, dass Gott gerade dort arbeitet, wo alles nach Ende aussieht.

Aus dieser doppelten Sicht erwachsen Trost und Auftrag. Trost: Deine Tränen sind nicht nutzlos. Gott sieht, zählt und sammelt sie (Ps 56,9). Er ist den Verfolgten nahe, nicht nur als Idee, sondern als Kraft, die trägt. Korrektur: Wir hängen unser Herz nicht an äußere Erfolgsindikatoren – nicht an Zahlen, nicht an Schlagkraft, nicht an Glanz. Kirche ist zuerst Treue unter Druck, nicht Sieg im Scheinwerferlicht.

Und unser Weg? Erstens: Beten statt erlahmen. Nicht allgemein, sondern konkret. Namen, Orte, Situationen sammeln; mit der Gemeinde laut aussprechen; Gott um Bewahrung, Mut, innere Nähe bitten. Zweitens: Hoffen statt resignieren. Hoffnung heißt nicht, dass alles sofort gut wird. Hoffnung heißt, dass Gott mit uns im Feuer ist – und dass das Feuer nicht das letzte Wort hat. Drittens: Handeln statt härten. Liebe stumpft nicht ab; sie wird praktischer. Sie schenkt, begleitet, baut wieder auf. Sie verwechselt Täter nicht mit allen Andersgläubigen. Sie bleibt klar und warm zugleich.

So leben wir „als Sterbende“ – realistisch; „und siehe, wir leben“ – hoffnungsvoll. Unsere Geschwister in der Verfolgung sind nicht Objekte unseres Mitleids, sondern Zeugen, von denen wir lernen: Standhaftigkeit, Freude im Kleinen, das stille Wunder der Bewahrung. Tertullian hatte recht: „Das Blut der Märtyrer ist der Same der Christen.“ Und doch bleibt jeder Tropfen kostbar – wir verschwenden ihn nicht an Fatalismus, sondern heben ihn in Gottes Licht.

Wenn du heute Abend die Kerze anzündest, denk an die Flamme im Wind. Bete für eine Familie, gib, was du geben kannst, und bitte Gott, dass er unsere Herzen weich hält. Christus führt seine Kirche nicht um das Tal herum, sondern hindurch – und er geht voran! Darum fürchten wir uns nicht. Wir halten zusammen. Wir halten an ihm fest.

Vielen Dank fürs Lesen!

Dein Peter


als Sterbende, die doch leben

2.Korinther 6, 9