„Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.“ (Johannes 20, 29) – Jesus sagt das zu einem Jünger und zeigt ihm einen Weg des Vertrauens. Einem Jünger, der zweifelt. Und Martin Luther greift diesen Vers in einem Brief an Philipp Melanchthon auf, als die Reformation selbst ins Wanken gerät und die Reformatoren anfangen an der Wirkung der Reformation zu zweifeln. Melanchthon ist nervös, er sieht das Ende der Reformation kommen. Und Luther? Er bleibt ruhig. Nicht, weil er keine Angst kennt. Sondern weil er weiß: Wenn wir nur glauben könnten, was wir auch sehen, kontrollieren oder verstehen – dann wäre es kein Glaube mehr. Sondern Berechnung. Oder Selbstbetrug.
Luther sagte in seinem Brief an Melanchthon sinngemäß: „Wenn du wirklich begreifen könntest, wie das hier alles ausgeht, dann wäre ich der Letzte, der bei dieser Reformation mitmachen würde.“ Das ist heftig. Aber er meint: Gott hat die Sache an einen Ort gesetzt, den du mit Rhetorik und Philosophie nicht findest. Das ist der Ort des Glaubens. Der Ort, an dem du loslassen musst, obwohl dir alles in dir sagt: „Ich will verstehen, sehen, anfassen, kontrollieren!“
Wir kennen das: Wenn du vor einer Entscheidung stehst und nicht weißt, was kommt. Wenn du betest, aber scheinbar keine Antwort bekommst. Wenn du dich fragst, ob das, was du glaubst, überhaupt Sinn ergibt. Dann bist du da, wo damals Luther und Melanchthon waren: Am Ort des Glaubens. Und ja, der ist nicht kuschelig. Der ist manchmal dunkel. Ungewiss. Zum Heulen.
Wer versucht, diesen Glaubensweg in etwas Sichtbares und Greifbares zu verwandeln, wird ordentlich auf die Nase fallen. Enttäuschung und Frust sind vorprogrammiert. Und doch: Genau dort geschieht etwas Großes. Denn wenn du loslässt, kann Gott halten. Wenn du nicht mehr siehst, kannst du vertrauen lernen. Wenn du nichts mehr verstehst, aber trotzdem nicht aufgibst – dann passiert echter Glaube.
In einer Welt, die Kontrolle feiert, die nach Beweisen schreit, die alles messen, tracken und erklären will, wirkt echter Glaube wie ein Anachronismus. Wie ein Relikt aus einer anderen Zeit. Und doch brauchen wir ihn dringender denn je. Denn was tun wir, wenn das Leben nicht nach Plan läuft? Wenn unsere Technik keine Antworten hat? Wenn unser Wissen nicht reicht, um die Angst zu vertreiben?
Dann ist da dieser unsichtbare Ort. Der Glaube. Kein Fluchtort, sondern ein Vertrauensraum. Kein Versteck, sondern ein Fundament, das bleibt, wenn alles wankt. Und dieser Glaube lebt nicht davon, dass wir alles verstehen. Sondern davon, dass wir Gott vertrauen, obwohl wir nichts sehen.
Natürlich: Gott hat uns Verstand und Neugier gegeben. Fragen zu stellen, nachzudenken, zu lernen – das gehört zum Glauben genauso dazu wie das Vertrauen. Aber es gibt einen Unterschied zwischen „Ich will verstehen, um tiefer zu glauben“ und „Ich glaube erst, wenn ich alles verstanden habe“. Wer immer auf die hundertprozentige Sicherheit wartet, verpasst den Moment, loszugehen. Wie beim Wandern im Nebel: Man sieht nicht alles, aber man sieht genug für den nächsten Schritt. Und genau das reicht. Glaube heißt nicht, blind zu laufen – sondern mutig loszugehen, obwohl man nicht alles sieht.
Vielleicht müssen wir uns das manchmal gegenseitig zusprechen: Du musst nicht alles begreifen, um für Jesus aktiv zu werden. Du darfst glauben und darauf vertrauen, dass er mit dir geht. Gerade dann, wenn du eben nicht alles weißt.
Vielen Dank fürs Lesen!
Dein Peter
Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.
Johannes 20, 29