Liebe mit Biss – geht das?

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Feindesliebe klingt schön – bis du selbst verletzt wirst. Was tun, wenn Menschen dich bewusst kränken, verletzen, verleumden oder übergehen? Einfach weiterlieben, still lächeln, vergeben? Wie weit geht diese Liebe – und wo ist die Grenze zwischen Barmherzigkeit und Blindheit?

Viele Christen glauben, sie müssten alles schlucken, im Namen der Liebe und Vergebung den Mund halten – selbst dann, wenn dadurch Ungerechtigkeit entsteht. Aber: Ist Schweigen wirklich immer christlich?

Überall brodeln Konflikte – subtil im Büro oder am Arbeitsplatz, toxische Beziehungen, schmerzhaft in Familien, Hasskommentare in sozialen Medien und religiösem Machtmissbrauch. Menschen ziehen übereinander her, lästern, canceln, ghosten, demütigen – manchmal passiv-aggressiv, manchmal brutal direkt. Und du? Du sollst „deine Feinde lieben“?

Jesus sagt:

Liebt eure Feinde. Segnet die, die euch verfluchen. Tut Gutes denen, die euch hassen. Betet für die, die euch beleidigen und verfolgen.

Matthäus 5, 44

Das klingt radikal. Und ehrlich gesagt: unmöglich. Wie soll man jemanden lieben, der einen verletzt hat? Der mit Worten zuschlägt, mit Taten erniedrigt, der einen fertig macht – öffentlich oder im Stillen?

Aber was Jesus da gesagt hat, ist keine nette Empfehlung für besonders Fromme – es ist ein Befehl. Aber was heißt das in der Praxis?

Was, wenn jemand dich hintergeht, schlecht über dich redet, dich psychisch unter Druck setzt oder deinen Glauben belächelt oder christliche Werte mit Füßen tritt? Was, wenn dir jemand immer wieder dieselbe Wunde aufreißt?

Viele denken: Als Christ musst du alles verzeihen, still bleiben, immer nett sein. Aber das ist eine gefährliche Verzerrung von Jesu Botschaft. Feindesliebe bedeutet nämlich nicht Selbstaufgabe. Es heißt auch nicht, dass man schweigen muss, wenn Unrecht geschieht. Feindesliebe ist etwas Persönliches. Aber im Amt, als Richter, Lehrer, Prediger, Vater, Mutter, Politiker, Polizist – darfst du das Böse nicht einfach durchgehen lassen. Sonst hilfst du dem Bösen noch. Sie ist kein Freifahrtschein für Täter.

Und Feindesliebe bedeutet auch nicht: „Du hast mich verletzt, ich schenke dir noch einen Baseballschläger.“ Sondern: „Ich lasse mich nicht auf dein Niveau herunter. Aber ich stehe auf. Ich spreche die Wahrheit aus. Ich halte dir den Spiegel hin – in Liebe, aber klar.“

Wenn jemand systematisch andere unterdrückt, manipuliert, belügt, mobbt – dann ist es nicht christlich, das still zu dulden.

Es gibt Zeiten, da muss man den Mut haben, den Mund aufzumachen. Schweigen wäre eine Form von Feigheit. Oder sogar Beihilfe zum Bösen. Martin Luther sagte über sich selbst: „Ich bin ein Prediger – ich soll Zähne im Maul haben!“ Er meinte: Wenn Menschen das Evangelium mit Füßen treten, wenn sie Arme und Schwache ausnutzen und sich dabei noch religiös oder moralisch inszenieren, dann darf man nicht schweigen.

Heute ist es nicht anders.

Jesus fordert keine geheuchelte Freundlichkeit. Er meint etwas Tieferes: Du sollst dich in sozialen Netzwerken, in der Politik oder im eigenen Bekanntenkreis nicht vom Hass bestimmen lassen. Du sollst kein Spiegelbild des Bösen werden und z.B. Lüge mit größerer Lüge bekämpfen. Damit würde man das Böse segnen.

Wir sollen das Böse unterbrechen. Mit Güte, durch Gebet, durch Vergebung. Aber auch mit Haltung und Anstand. Nicht, weil du schwach bist – sondern weil du stark genug bist, anders zu handeln. Feindesliebe ist kein Kuschelevangelium oder eine rosarote Wolke. Sie ist ein Weg, auf dem du Gott ähnlicher wirst.

Jesus selbst hat nicht jeden Konflikt geschluckt. Er hat Mächtige konfrontiert, Unrecht benannt, religiöse Heuchelei entlarvt. Mit Liebe – aber mit Schärfe. Feindesliebe ist kein Dämpfer. Sie ist ein Durchblick – auf das, was wirklich heil macht.

Manchmal heißt Feindesliebe eben auch: jemanden nicht öffentlich bloßstellen, obwohl du es könntest. Nicht zurückzuschlagen, obwohl es dir zusteht. Den Mund aufzumachen, gerade weil du liebst – und weil Schweigen anderen schadet. Aber dabei auch Grenzen nicht überschreiten, sodass unüberwindbare Gräben entstehen und Jesus nicht mehr gesehen wird. Wahre Liebe stellt sich in den Riss und baut Brücken – nicht mit Hass, sondern mit Kraft.

Vielleicht entdeckst du den Jesus-Style: Du entscheidest dich, einem Menschen nicht aus Rache zu begegnen. Oder du sprichst eine unbequeme Wahrheit aus – aus Liebe. Du betest für jemanden, den du innerlich am liebsten canceln würdest. Wahre Liebe duckt sich nicht weg. Sie steht auf. Und manchmal zeigt sie Zähne.

Vielen Dank fürs Lesen!

Dein Peter


Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen.

Matthäus 5, 44