Gott spricht: Siehe, ich mache alles neu

Bild "alles neu" Eine einzelne Person steht in der Morgendämmerung auf einer Anhöhe und blickt in eine weite Stadtlandschaft, über der langsam das erste Sonnenlicht aufgeht, Symbol für „alles neu“.

„Gott spricht: Siehe, ich mache alles neu!“

Offenbarung 21, 5

Ein Satz, der größer ist als alle Vorsätze. Ein Satz, der nicht in die Kategorie „Motivation“ und „Tschaka“ gehört, sondern in die Kategorie „Verheißung“. Und eine Verheißung, die ihren Klang aus einem der dichtesten, tröstlichsten und zugleich herausforderndsten Texte der Bibel gewinnt: Offenbarung 21.

Ein Blick in die große Geschichte

Bevor der Satz aus Vers 5 zu uns spricht, sollten wir den Raum betreten, also den Kontext anschauen, aus dem er kommt.

Johannes beschreibt eine Vision: „Ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde“ (Offenbarung 21, 1). Das ist ein bewusstes Echo früherer Verheißungen – besonders der Prophetie Jesajas (Jesaja 65–66). Dort verheißt Gott seinem Volk nach Exil, Erschöpfung und Enttäuschung eine radikal erneuerte Welt.

Johannes greift diese Hoffnung auf – aber er tut es in einer Situation, die alles andere als hoffnungsvoll war. Die ersten christlichen Gemeinden standen unter starkem Druck und erlebten eine Zeit massiver Krisen. Sie erlebten einen Alltag, der von gesellschaftlicher Ausgrenzung und Unterdrückung, wirtschaftlicher Not und lokaler Verfolgung geprägt war. Mitten in dieser bedrückenden Realität erscheint das Buch der Offenbarung nicht als reißerisches Endzeit-Szenario, sondern als tiefgründige Trostschrift, um Menschen in Krisenzeiten, bei Trauer oder politischem Druck Halt und Ermutigung zu geben.

Die Offenbarung weitet den Blick dort, wo die Perspektivlosigkeit den Geist einengt, und eröffnet einen gewaltigen Horizont. Die alte Welt mit all ihrem Leid ist vergangen, und selbst das Meer – für die Menschen damals der Inbegriff von Chaos, Bedrohung und Gottferne – existiert nicht mehr. An ihre Stelle tritt eine neue Ordnung, symbolisiert durch das neue Jerusalem, das in strahlender Schönheit wie eine Braut von Gott herabkommt.

Mit „denn der erste Himmel und die erste Erde verging“ am Anfang des 21. Kapitels ist diese Welt gemeint, in der wir leben und die durch Vergänglichkeit, Tod, Leid und Trennung von Gott geprägt ist. Wenn Johannes schreibt, dass sie „vergangen“ sind, dann meint er damit das Ende dieser Epoche. Dieser Ausdruck dient vor allem als Kontrastmittel. Erst wenn das „Erste“, also das Alte und Belastete vergeht, dann ist Platz für das „Neue“. In der „neuen Erde“ gibt es keinen Tod, kein Geschrei und keinen Schmerz mehr. Der „erste Himmel“ und die „erste Erde“ sind also die Chiffre für alles, was im Leben als schwer, endlich und unvollkommen empfunden wird.

Für die Leser von Johannes war das eine revolutionäre Botschaft. Die damaligen Weltmächte, wie das Römische Reich, die Unterdrückung und sogar die Naturgesetze von Krankheit und Tod gehören zum „ersten“ System, das ein Ablaufdatum hat.

Dieser Blick in die Tiefe des Johannes-Textes zeigt uns: Die Zukunft gehört nicht dem einem Abriss und dem Chaos, sondern der Nähe Gottes. Die Neuschöpfung ist kein menschliches Projekt, sondern Gottes Werk. Wir sind die Empfangenden, nicht die Produzierenden. Nicht die Menschen machen sich einen Himmel auf Erden, sondern Gott macht es.

Mitten in diese Szene ertönt eine Stimme vom Thron Gottes: „Jetzt ist Gottes Wohnung bei den Menschen“ (Kapitel 21, Vers 3). Nicht: „Ihr kommt irgendwann zu mir“, sondern „Ich komme zu euch.“ Das ist das Herz des christlichen Glaubens. Gott bleibt nicht fern. Er wohnt bei seinem Volk. Er wischt Tränen ab – eine Geste, die so zärtlich ist, dass man sie fast nicht theologisch, sondern nur persönlich verstehen kann.

Was ist mit „und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein“ gemeint? Während im Alten Testament meist vom einen „Volk Gottes“ (Israel) die Rede ist, weitet Johannes den Blick in der Vision der neuen Welt. Hier sprengt der Judenchrist Johannes mit seinem Text bewusst alte Grenzen.

In der klassischen Lesart und nach dem griechischen Urtext ist mit dem „Volk“ weder ausschließlich das jüdische Volk noch ausschließlich die christliche Kirche im heutigen konfessionellen oder übertragenen Sinne gemeint. Es geht um eine neue, umfassende Gemeinschaft. In den griechischen Quellen steht der Plural „…und sie werden seine Völker sein“. Es ist eine Gemeinschaft, die aus allen Nationen, Stämmen und Sprachen besteht. Es ist also eine Menschheit, die durch den Glauben an Gott vereint ist.

Angesichts dieser Vision einer grenzenlosen Gemeinschaft aus allen Völkern erscheint jeder christlich getarnte Nationalismus wie ein Rückschritt. Diese biblische Weite entlarvt moderne Ideologien der Exklusivität: Ein Glaube, der sich für nationale Abschottung oder die Bevorzugung der eigenen Gruppe instrumentalisieren lässt, verkennt das Herz der Offenbarung. Gott baut keine Mauern zwischen Nationen wieder auf, sondern er schafft eine neue Menschheit, die weit über Hautfarben, Kulturen und Staatsgrenzen hinausreicht.

Der Text sagt „Gott selbst wird mit ihnen sein“. Das ist eine Anspielung auf den Namen „Immanuel“. Für Johannes ist klar, in dieser neuen Welt wird das Versprechen, das Gott einst Israel gab („Ich will euer Gott sein und ihr sollt mein Volk sein“), an allen Menschen erfüllt, die zu ihm gehören. Wer zu ihm gehört, das entscheidet letztlich Gott.

„Siehe, ich mache alles neu“ – die Mitte der Hoffnung

Schauen wir uns doch den Kern des Themas genauer an: „Siehe, ich mache alles neu.“

Auch hier lohnt sich ein Blick in den griechischen Text: „Ich bin dabei, alles neu zu schaffen.“ Nicht „Ich habe es neu gemacht“, auch nicht „Es wird irgendwann neu sein“. Es geht um eine Gegenwart – also das Heute – , die Zukunft schafft.

Gottes neue Welt beginnt nicht erst am Ende, sondern sie bricht schon jetzt in unsere Welt hinein. Paulus drückt es ähnlich aus: „Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Schöpfung“ (2. Korinther 5, 17). Die Offenbarung zeigt die Vollendung, Paulus zeigt den Anfang – und wir leben in der Spannung dazwischen.

Dabei hilft ein kurzer Seitenblick auf einen Satz des Paulus: „Prüft alles, und behaltet das Gute“ (1. Thessalonicher 5, 21). Echte Erneuerung geschieht nicht dadurch, dass wir alles verwerfen, sondern dass wir unterscheiden lernen. Um zu unterscheiden, braucht es eine Herzenshaltung, die Gottes Vorstellungen entspricht. Das ist ein Prozess, dem man sich öffnen sollte. Gott macht neu, ohne das Gute zu zerstören. Die Bibel denkt das Neue verwandelnd, nicht vernichtend.

Johannes zeigt diese Vollendung in zwei Bewegungen:

„Wer Durst hat, dem werde ich umsonst zu trinken geben.“ (Kapitel 21, Vers 6) Dieser Satz ist wie ein Evangelium in Miniaturform. Gott verlangt keine Eintrittskarte in die neue Welt. Durst reicht. Bedürftigkeit ist die einzige Voraussetzung. In einer Leistungsgesellschaft gilt Bedürftigkeit als Schwäche. Der Text dreht das um: Wer erkennt, dass er „durstig“ ist, also Defizite hat, müde ist, Fragen hat, ist anschlussfähig für echte Veränderung. Das ist eine Einladung zur Ehrlichkeit gegenüber sich selbst.

Zweitens bleibt der Text nicht bei Harmonie stehen, sondern spricht in Vers 8 auch vom Gericht. Das ist kein dunkles Finale, sondern ein notwendiger Zwischenschritt: Der Gott, der tröstet, ist derselbe, der Unrecht beim Namen nennt. Neuschöpfung wäre keine gute Nachricht, wenn das Böse einfach mitkäme.

Doch selbst hier gilt, der Ton der Offenbarung zielt nicht auf Angst, sondern auf Klarheit. Johannes schreibt an Gemeinden, die sich fragen: Lohnt es sich, treu zu bleiben? Und er antwortet: Ja – denn der Gott, der alles neu macht, macht auch Gerechtigkeit neu.

Kritische und geistig wache Leser stolpern vielleicht an dieser Stelle und fragen sich, wenn Gott bereits zur Zeit Johannes dabei war das Neue zu schaffen, warum braucht er den solange, bis er es endlich geschafft hat?
Diese berechtigte Frage wird an vielen Stellen der Bibel bereits gestellt. Z.B. mit „Wie lange noch, HERR?“ (Psalm 13; Psalm 74), „Warum schweigst du?“ (Habakuk 1), „Wo bleibt die Verheißung?“ (2. Petrus 3, 4). Die Offenbarung verschweigt diese Spannung nicht. Im Gegenteil, sie entsteht aus ihr heraus. Johannes schreibt an Menschen, die leiden, warten, hoffen – und die genau diese Frage stellen. Aber der Glaube der Bibel ist kein Gedulds-Training, sondern ein Ringen mit der Zeit Gottes.

Es ist wichtig zu verstehen, dass Gott nicht nur eine neue Welt schafft – er führt Menschen in diese neue Welt hinein. Das braucht Zeit. Wenn Gott sofort „alles neu“ machen würde, hieße das, dass kein Raum bleibt für Umkehr, für geistliches Wachstum (Vertrauen, Reife, Liebe und im Aushalten von Ambivalenzen), für Heilung (das Verwundete wird verwandelt), für Lebensgeschichte (Prägungen, Entscheidungen, Schuld und Lernen).

Gott löscht Geschichte nicht, sondern geht durch sie hindurch. Israel wird nicht aus Ägypten „herauskopiert“, sondern durch die Wüste geführt. Jesus überspringt das menschliche Leben nicht, sondern wächst, leidet, stirbt – der auferstandene Christus ist neu, aber seine Wunden sind noch sichtbar. Ohne Geschichte wäre alles austauschbar. Gott macht nicht neu, indem er unsere Geschichte beendet, sondern indem er sie heilt und vollendet.

Wenn Gott alles einfach sofort neu machen würde, wären wir nicht erlöst, sondern ersetzt.

Gott braucht nicht lange, weil er langsam ist – sondern weil er liebt. Was wir als Verzögerung empfinden, ist aus biblischer Sicht Zeit der Gnade (siehe 2. Petrus 3, 9)

Was bedeutet das für uns heute?

Wir leben in einer Zeit voller Widersprüche. Viele sehnen sich nach Neubeginn, aber fühlen sich gleichzeitig von zu viel Veränderung überfordert. Und wir leben in einer Welt, die sich rasant wandelt – digital, politisch, gesellschaftlich – und doch entdecken wir in uns selbst das Bedürfnis nach Vergangenem, Stabilität, nach etwas, das bleibt.

„Alles neu“ beginnt mit Gottes Nähe. Bevor Gott irgendetwas in der Welt verändert, verändert er die Beziehung: „Ich werde bei ihnen wohnen.“

„Alles neu“ heißt nicht: alles auf Null. Viele Menschen fürchten Veränderung, weil sie Verlust des Gewohnten bedeutet. Johannes zeigt, Gott beginnt nicht mit Abriss, sondern mit Veränderung und Vollendung. Die neue Stadt ist nicht fremd, sondern vertraut – wie eine Braut, die geschmückt wird. Erneuerung Gottes ist keine Entwurzelung.

„Alles neu“ wächst im Alltag – leise, aber echt. Es beginnt dort, wo wir nicht alles festhalten wollen, was wir mitgebracht haben.

Es wächst, wo wir unseren Durst nicht überspielen, sondern aussprechen: „Gott, ich bin durstig.“ Und erfahren: Gott antwortet nicht mit Vorwürfen, sondern mit Wasser.

Es zeigt sich im Mut zur Treue. „Überwinden“ meint kein Heldentum, sondern Dranbleiben, wenn es schwer wird.
Treue ist kein Kraftakt, sondern Vertrauen über Zeit.

Und es lebt von geübter Hoffnung. Hoffnung ist kein Gefühl, sondern eine Entscheidung: den Satz „Siehe, ich mache alles neu“ immer wieder gelten zu lassen – auch dann, wenn das Leben alt und müde wirkt.

Das Neue Gottes fragt nach unserer Bereitschaft, liebgewordene Positionen zu verlassen – Sicherheiten, Überzeugungen, vielleicht auch Gewohnheiten, an denen wir festhalten, weil sie uns vertraut sind. Die entscheidende Frage lautet deshalb nicht: Was möchte ich bewahren? sondern: Wo bin ich bereit, mich verändern zu lassen, weil Gott näher kommen will, als mir manchmal lieb ist?

„Alles neu“ geschieht nicht ohne Veränderung – und Veränderung nicht ohne Loslassen. Wer Gott erlaubt, bei sich zu wohnen, erlaubt ihm auch, Dinge in Frage zu stellen, die man sich bequem eingerichtet hat.

Bist du bereit, dich verändern zu lassen – oder möchtest du Gott lieber auf Abstand halten, damit alles beim Alten bleibt?

Es grüßt Sie

Munir Hanna
für das Evangeliumsnetz e.V.


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